Gespannte Stille herrschte unter den 120 Schülerinnen und Schülern des Jahrgangs 10, als der 22-jährige Jakob Springfeld vom Aufwachsen im sächsischen Zwickau erzählte.
„Ich habe eine unbeschwerte Kindheit mit Fußball und Trompete spielen erlebt, eigentlich in einer „Blase“ gelebt, ohne zu wissen, was in unserer Stadt über Jahre passiert war“. Erst nach und nach habe er erfahren, was es mit dem NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) in der 90.000 -Einwohnerstadt Zwickau auf sich hatte. Die NSU-Terroristen haben jahrelang unter den Zwickauern gelebt, sogar im selben Haus einer vietnamesischen Klassenkameradin. Die Zwickauer Sparkasse, die die NSU-Terroristen überfallen hatten, lieferte das Geld für weitere Morde. Eine drastische und bedrohliche Schilderung am Beginn der Veranstaltung, aber eine wichtige.
Jakob Springfeld begründet sein Engagement gegen rechts, gegen Hass und Gewalt und für den Einsatz für Toleranz, Antisemitismus und Demokratie mit der ehrenamtlichen Arbeit seines Vaters. Er war 2015 in der Flüchtlingshilfe tätig und hier lernte Jakob Mustafa kennen. Die beiden Jungen wurden Freunde und der damals knapp dreizehnjährige Jakob erfuhr von den Dimensionen einer Flucht und vom Ankommen in einem neuen Land. Mustafas traumatische Erlebnisse von Gewalt, Verlust, Ängsten und Ausgrenzungen endeten nicht in Deutschland. Das alles setzte sich in Zwickau fort, was Jakob so nicht hinnehmen konnte und wollte. Hier begann sein Engagement.
2020 schrieb er dann gemeinsam mit dem Journalisten Issio Ehrich das vorliegende Buch „UNTER NAZIS“. Es ist Jakobs ausführliche Lebensgeschichte, die von persönlichen Erlebnissen in Zwickau und in seinem Studienort Halle erzählt. Springfeld lenkt dabei den Blick auf Ereignisse der 90er Jahre, den rechten Terror des NSU und die aktuelle Entwicklung rund um die AFD.
Immer wieder unterbricht Springfeld seine Lesung und erzählt direkt seine Sicht der Dinge. Er will Menschen treffen und mit ihnen ins Gespräch kommen, die „stillen“ Dulder aufrufen, sich zu engagieren. Springfeld weiß, dass er keinen radikalen Rechten „umdrehen“ kann, aber die vielen, die wissen, dass die Demokratie immer noch die beste Form des Regierens und Zusammenlebens ist, die will er mit seinem Buch wachrütteln und mit seinen Vorträgen zum Engagement gegen die Anfänge von Rassismus und Ausgrenzung aufrufen. Alle haben eine Verantwortung, ihre Stimme zu erheben. Er führt aus, dass die Anfänge von Ausgrenzung oft nicht wahrgenommen werden. Alles beginne ganz still und leise. Oft denke man, bei uns doch nicht. Das alles sei ganz weit weg. Aber Rassismus und Ausgrenzung beginne bereits mit „lustigen“ Sprüchen im Klassenzimmer, die beim genauen Hinhören massiv ausgrenzend seien. Hier fordert Springfeld alle Schülerinnen, Schüler als auch Lehrende auf, wachsam zu sein und früh anzufangen, etwas dagegen zu tun und somit mutig zu sein.
Jakob Springfeld las und berichtete gut eine Stunde. Anschließend kam er mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch. Die Frage, ob er Angst habe, bejahte er ohne Zögern. Fast täglich bekomme er Hassnachrichten und das Bedrängen von rechten Gruppen gehöre zu seinem Alltag. Eingebettet zu sein, in die große Gruppe von Mitstreitern und Freunden, ließe ihn das alles aushalten. Zudem wies er auf den VBRG (Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt) hin. Dorthin können sich Betroffene wenden, um beraten und geschützt zu werden.
Dass Rechtsradikalismus ein gesamteuropäisches Problem sei, sieht auch Springfeld. Er schlägt vor, dass man sich hier auf seinen Bereich und in unserem Fall auf die Schule konzentrieren müsse. Er spricht u.a. von Projekten zu entsprechenden Themen, von Diskussionsrunden, von Informationen zu Flucht und Vertreibung. So hätten sie es auch damals in seiner Schulzeit getan.
Eine Schülerin wundert sich, dass trotz Informationen über deren „Gesinnung“ viele Menschen die AFD wählten. Der Politikstudent Springfeld weist hier auf die „einfachen“ Antworten und Lösungen hin, die diese Partei anbietet. Einfache, unkomplizierte Antworten seien in dieser momentan aus großen Unsicherheiten bestehenden Welt beliebt. Er fordert deshalb alle auf, sich genau zu informieren und einfache Lösungen unbedingt zu hinterfragen.
Am Ende der zweistündigen Veranstaltung gab es viel Applaus und ca. 20 Schülerinnen und Schüler suchten noch das direkte Gespräch mit Jakob Springfeld. Vertieft werden kann die Thematik nun zum noch mit einer Reihe an Büchern zum Thema, welche die Schülerbücherei auf einem themenbezogenen Büchertisch zusammengestellt hat.
Insgesamt war die Lesung eine wichtige Auftaktveranstaltung im Rahmen des Konzeptes „Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“. Gymnasialleiter Dirk Weidmann sagen wir an dieser Stelle „DANKE“: Er holte Jakob Springfeld zur Lesung an die HGS.
RHB